Sind Verträge ohne Laufzeit der Tod für Fitnessstudios oder Chance für die Zukunft?
Diese Frage stellt sich in den Foren in den letzten Monaten immer häufiger. (Größere) Fitnessketten und mittelständische Studios bieten Verträge ohne Laufzeit seit geraumer Zeit an, viele (kleinere) Studios sträuben sich hier.
Ich habe im Rahmen einer empirischen Untersuchung die Realdaten von vier Studios (900 – 1.500 Mitglieder) in NRW über einen Zeitraum vom 01.06.21 (ab Wiedereröffnung) bis 03.06.22 analysiert und bin zu aufschlussreichen Ergebnissen gekommen.
Argumente, die für eine kurze Laufzeit sprechen:
– Geändertes Verbraucherverhalten (s. Netflix, Amazon Prime, Sky, Handy-Verträge)
– Neue Zielgruppe: nun melden sich auch die Interessenten an, die keine langfristigen Verträge wünschen
– Vermeintlich geringere Kündigungsquoten von anderen Abo-Modellen (s. Netflix) könnten übertragbar sein: man kann jederzeit kündigen – aus diesem Grund tut man es nicht (Gefühl der selbstbestimmten Freiheit)
Argumente, die gegen eine kurze Laufzeit sprechen:
– Eine langfristige Planung ist nicht mehr möglich, da Gefahr der großen Kündigungswelle
– Kurze Verträge bringen nichts, da sich Erfolge erst nach 3- 6 Monaten einstellen
– Gefahr der „Vertrags-Hopper“: heute hier, morgen da….
Man könnte nun sämtliche Argumente dafür oder dagegen aufgliedern und mit Gegenargumenten widerlegen. Hieraus entsteht eine Diskussion von zwei Lagern, die zwar interessant ist, aber zu keinen hinreichenden Ergebnissen führt.
Aus diesem Grund folgen einige empirische Daten einer Realdatenanalyse über den Zeitraum der vergangenen 12 Monate seit Wieder-Eröffnung. Es wurde somit der Corona-Effekt der Schließung beseitigt, dabei aber der Sog-Effekt der frei gewordenen Mitglieder berücksichtigt.
Untersucht wurden die Anmeldezahlen von vier größeren Anlagen (> 900 Mitglieder pro Studio) in NRW (Distanz je voneinander ca. 90 km) im mittleren Preissegment (30 – 45 EUR/Monat). Zu beachten ist, das es sich hierbei nicht um eine Befragung (also subjektive Daten), sondern um reale Daten handelt.
Ergebnisse:
Alle vier Studios in NRW haben folgende Vertragslaufzeiten im Angebot:
1 Monat (n = 1.681; 11,85%)
12 Monate (n = 2.217; 38,01%)
24 Monate (n = 523; 50,14%)
Summe: n = 4.422; 100%
Hiervon sind innerhalb eines Jahres folgende Kündigungen (Kündigungseingang, nicht Vertragende) zu verzeichnen:
1 Monat (n = 472; 64,39%)
12 Monate (n = 237; 32,33%)
24 Monate (n= 24; 3,27%)
Auf dem ersten Blick fallen die hohen „Kündigungszahlen“ der kurzen Laufzeit, bzw. die niedrigen Zahlen der 24 Monate ins Auge. Daher gilt es, sich hiermit etwas näher zu beschäftigen:
Bei der Betrachtung der Kündigungseingänge ist es von Bedeutung, die Kündigungsgründe zu berücksichtigen. Alle vier untersuchten Studios arbeiten mit der Studiosoftware Magicline 2.0, die eine Berücksichtigung der Kündigungsgründe erlaubt. Berücksichtigt wurden 14 Kündigungsgründe, u. a.
– Kein Spaß am Fitnesssport (n = 21)
– Offene Forderungen (n = 15)
– Persönliche Gründe (n = 256)
– Umzug (n = 31)
– Vertragswechsel (n = 157)
Insbesondere der letzte Grund (Vertragswechsel) ist näher zu untersuchen. Aus diesem Grunde wurden die Daten nach Vertragsgrund und Laufzeit gefiltert:
Mitglieder, die aufgrund eines Vertragswechsels „gekündigt“ haben:
– 1 Monat Laufzeit: n = 72
– 12 Monate Laufzeit: n = 81
– 24 Monate Laufzeit: n = 4
Es handelt sich bei diesen Zahlen um Mitglieder, die in einen anderen (längerfristigen) Vertrag gewechselt haben. Es fand also keine Kündigung statt. Die Personen sind nach wie vor Mitglied im Studio. Auf Rückfrage haben alle fünf Studios bestätigt, das keine aktive Werbekampagne stattgefunden hat, die Mitglieder ohne Laufzeit zum Vertragswechsel zu motivieren. Ein Projekt, das wir zeitnah gemeinsam umsetzen werden.
Berücksichtigt man die 72 Personen des Vertragswechsels, so reduziert sich die Kündigungsquote der monatlichen Verträge auf 400 Personen. Auf Nachfrage haben alle vier Studios seit Jahresbeginn verschiedene Werbeaktionen durchgeführt, die Neumitgliedern für einen Zeitraum über 2 – 3 Monate einen bestimmten Rabatt einräumen. Filtert man die Kündigungen (n = 400) über die Personen, die im Angebotszeitraum wieder gekündigt haben, so erhält man folgende Zahlen:
– Kündigung im rabattierten Zeitraum: n = 289
– Kündigung ausserhalb des rabattierten Zeitraums: n = 111
Das sind m. E. die entscheidenden Zahlen: Interessenten, die im rabattierten Zeitraum kündigen, probieren den Sport/ das Sportstudio zu (stark) vergünstigten Konditionen aus. Dies sind zum großen Teil Personen, die gleichzusetzen sind mit Probe-Nutzern von anderen Abo-Modellen, wie Sky oder Amazon Prime, die für die ersten vier Wochen kostenlos sind. Für unsere Untersuchung sind die 111 Personen interessant, die in einem Jahr ausserhalb des rabattierten Zeitraums kündigen. Diese ins Verhältnis mit den Kündigungen der 12-Monatsverträge (n = 237) gesetzt, lässt die monatlich kündbaren Verträge in ein anderes Licht setzen. Die Kündigungsquote ist um ein Vielfaches geringer, hat aber eine wesentlich höhere Wertschöpfung (durch höhere Monatsbeiträge).
Fragen, die sich hieraus ergeben und die man sich als Fitnessstudio-Betreiber stellen sollte:
– Würde ich die Mitglieder, die ich ohne Vertragsbindung gewonnen habe, auch mit mittel- oder langfristigen Verträgen binden können oder hätten sie sich nicht angemeldet?
– Kann ich mit bestimmten Aktionen die Mitglieder ohne Vertragsbindung dazu bewegen, eine Vertragsbindung von 12 oder 24 Monaten einzugehen? Hierzu erfolgt eine weitere Untersuchung, nachdem die Verlängerungs-Aktion in den vier Studios durchgeführt wurde
– Habe ich die Kapazität, mich intensiver in den ersten Wochen des Abschlusses um die Mitglieder ohne Vertragsbindung zu kümmern, um ggf. hierdurch die Fluktuationsquote zu senken?
– Schlussendlich: kann und möchte ich die hohe Fluktuationsquote der Mitglieder ohne Vertragsbindung akzeptieren?
Insbesondere mit der letzten Frage sollte man sich eingehend beschäftigen und nicht vorschnell ein „Nein“ in den Raum werfen. So könnte man hierzu abschließend folgende Argumente mit dieser Frage bringen:
– Man erhält eine Wertschöpfung von Personen, die man ggf. sonst nicht erhält, da sie sich nicht langfristig binden wollen
– „Keine Vertragsbindung“ ist ein wichtiges Marketing-Instrument, das auf Mittel- bis Langfristigkeit ausgelegt ist: es muss sich rumsprechen, akzeptiert werden und erst dann werden hierdurch (besonders auch durch MtM-Massnahmen) Sog-Effekte entstehen
– Man hat die Chance, langfristig auch die Mitglieder zu binden, die kündigen „könnten“ (es aber nicht tun, weil man ja keine Frist versäumen möchte)
Schlußendlich gilt es zu berücksichtigen, das sich auch der Markt der Fitnessdienstleistungen (wie vieles andere ebenso) ändert. Besonders die Fitnessstudio-Betreiber, die langjährig ihre Studios betreiben, müssen nicht nur akzeptieren, das die Zeit, wie sie „früher“ war, nicht mehr gilt. Das betrifft das Trainingsverhalten ebenso wie die Mitgliederbindung; die Mitgliederstruktur wie der Wettbewerb….
Die künftigen Veränderungen (die sowieso gekommen wären, Corona hat einige Punkte lediglich beschleunigt) sollten als spannende Herausforderungen betrachten werden, die es anzugehen gilt. Gern unterstütze ich Sie hierbei.
Dr. Thomas Kruse
Der Fitnessökonom
One Reply to “Sind Verträge ohne Laufzeit der Tod für Fitnessstudios oder Chance für die Zukunft?”
Sehr spannenden Zahlen und vielen Dank für das Teilen, Thomas. Ich nehme diese Zahlen – mit Quellverweis natürlich 😉 – in eine kommende Folge mit.
Viele Grüße
Andreas von Hashtag Fitnessindustrie